Norbert Niemann / Martin Schmidt
Kleine Transporter
Texte und Zeichnungen
Edition Villa Concordia, Bamberger Bände 4, Bamberg 2010, 106 S., geb.
Tagebucheintragungen, Texte fürs Radio, Internet-Beiträge, das Libretto für eine Kurzoper von Johannes X. Schachtner zeichnen das Leben und Schreiben des Autors während seines Stipendiums in der Villa Concordia in Bamberg nach. Martin Schmidt liefert Skizzen und Zeichnungen, die im selben Zeitraum entstanden ist. "Kleine Transporter" dokumentiert u.a. die wechselseitige Inspiration und Auseinandersetzung von Musik, Bildender Kunst und Literatur.
Textauszug
November 2009
Martin Schmidt, den ich heute mit Johannes Schachtner in seinem Atelier besuchte, gab eine interessante Antwort auf eine Frage, die ich vor ein paar Tagen auf der Vernissage Johan Zetterquists und seiner schwedischen Kollegin und Lebensgefährtin Linda Tedsdotter gestellt hatte. Mir fällt nämlich auf, dass die gestischen, abstrakten, informellen Ansätze der Moderne immer mehr aus der zeitgenössischen Bildenden Kunst verschwinden, zugunsten einer ziemlich realistischen (aber nicht fotorealistischen), zeichnerischen Präzision und Handwerklichkeit. Blei- und Buntstifte kommen dabei vermehrt zum Einsatz. Oft ist mit der Herstellung der Bilder ein ungeheurer Zeitaufwand verbunden. Und ich frage mich seit längerem: Warum ist das so?
Martin also sagte ungefähr folgendes, als wir vor seinem großformatigen Work-in-Progress standen (die Bleistiftzeichnung eines Grabsteins auf der Basis einer Fotografie): Wenn er vor dem leeren Papier stehe und sich entscheiden müsse, wie er das Thema bewältigen wolle, sich dann eine gestische Lösung vorstelle, schrecke er im selben Augenblick davor zurück. Er fürchte sich davor, sein Werk könnte wie "Kunst" aussehen.
Vielleicht wird der Kunstcharakter, genauer, der Charakter "moderner Kunst", als abgedroschen, ausgelaugt, leer empfunden. Mir scheint, die neue Zeichnungsgenauigkeit will diesen Affekt unterlaufen. Sie nähert sich dabei erstaunlicherweise wieder vormodernen Ästhetiken an, vermutlich um gewisse Erstarrungen der Moderne - aufzubrechen ist das falsche, das modernistische Wort; eher um sie zu konterkarieren oder den Raum neu, in einer neu verstandenen Anbindung an die Tradition zu öffnen.
Ähnliche Bewegungen gibt es auch in der Literatur - zumindest für mich. Vielleicht auch in der Musik?